Pressemitteilung

Kinder- und Jugendärzte arbeiten am Limit
KVN: Infektwelle ist nicht der alleinige Grund für angespannte Lage
Die Belastungssituation der ambulanten Kinder- und Jugendarztpraxen und der Kinderkliniken in Niedersachsen spitzt sich mit jedem Tag mehr zu. Kinder- und Jugendarztpraxen verhängen Aufnahmestopps und Kinderkliniken weisen Patienten ab. Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte arbeiten am Limit. Ein Grund dafür ist die derzeitige Welle von Infekten der oberen Luftwege bei Kindern und Jugendlichen.
„Wir bitten alle Eltern von Kinder- und Jugendliche um Verständnis, dass es in dieser Ausnahmesituation nicht in jedem Fall zeitnahe ärztliche Behandlungen gibt. Alle Kinder- und Jugendärzte arbeiten am Limit. Eltern sollten sich bei Infekten ihrer Kinder immer fragen, ob eine zeitnahe ärztliche Konsultation wirklich notwendig ist. Auch können Vorsorgeuntersuchungen gegebenenfalls aufgeschoben werden, sofern dies das Zeitfenster für derartige Untersuchungen hergibt. Insbesondere kann es angesichts der hohen Patientenzahlen kurzfristig zu einer Anpassung der Praxisabläufe kommen“, sagte Mark Barjenbruch, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), heute in Hannover.
Das derzeit sehr hohe Patientenaufkommen bedeute zugleich oftmals eine bürokratische Mehrbelastung für die Praxen – insbesondere für Kinderarztpraxen. Denn viele Schulen würden von Eltern erkrankter Schüler ein ärztliches Attest zur Bestätigung der Krankheit verlangen. „Das führt leider in diesen Tagen vermehrt dazu, dass Praxen in der ohnehin schon extremen Belastungssituation zusätzlich noch Aufwand betreiben müssen, um die Voraussetzungen für ein Attest zu prüfen und dieses dann gegebenenfalls auszustellen“, so Barjenbruch. „Die Ärztinnen und Ärzte brauchen die Zeit aber aktuell dringend für medizinische Behandlungen, nicht für bürokratische Aufgaben und formal unnötige Atteste.“
„Die Infektwelle ist aber nicht der eigentliche Grund für die angespannte Lage“, erläutert der KVN-Vorstand. „Perspektivisch wird die Situation immer angespannter: Immer weniger junge Ärztinnen und Ärzte wagen den Schritt in die Niederlassung. Gleichzeitig erlebt Deutschland seit einigen Jahren einen Babyboom. Im Jahr 2010 wurden mit bundesweit rund 665.000 Geburten noch etwa 105.000 weniger Kinder geboren als 2021. Die medizinische Versorgung der Kinder und Jugendlichen wird immer schwieriger, vor allem in den Randlagen der Städte und auf dem Land müssen Kinder- und Jugendärzte heute schon einen Aufnahmestopp wegen Überlastung verhängen. Wenn die Politik nicht bald mehr Medizinstudienplätze schafft und vor allem die Niederlassung attraktiver macht, müssen Eltern und Kinder in Zukunft noch längere Wartezeiten und vor allem auf dem Land noch weitere Wege bis zur nächsten Praxis bewältigen“, prognostiziert Barjenbruch.
Vor allem für die wachsende Zahl chronisch kranker Kinder und Jugendlicher bedeutet diese Entwicklung nichts Gutes. Die niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und –ärzte übernehmen seit Jahren immer mehr die Versorgung, die früher in den Kinderstationen der Kliniken geleistet wurde. Sie versorgen Kinder und Jugendliche mit Herzfehlern, schweren Allergien und Lungenkrankheiten sowie Rheuma. Es fehlen Ressourcen für die medizinische Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen.
Der stellvertretende KVN-Vorsitzende, Dr. Jörg Berling, ergänzte: „Darüber hinaus gibt es immer mehr Vorsorgeuntersuchungen, die in den Praxen erledigt werden müssen. Bei ihrer Einführung 1971 gab es acht Vorsorgeuntersuchungen, inzwischen sind es 14. Die Zahl der empfohlenen Impfungen hat sich in drei Jahrzehnten fast verdoppelt. Die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte sehen immer häufiger Kinder mit auffälligem Verhalten, Entwicklungs- oder Sprachproblemen - Störungen also, die auch im sozialen Umfeld begründet sein können. Dies führt zu mehr Arztbesuchen und in einzelnen Regionen zur Überlastung der Praxen. Die Praxen arbeiten also auch ohne die aktuelle Infektwelle bereits am Limit.“