KVNachrichten

pexels-tima-miroshnichenko-8376232

ATIS informiert: Ayahuasca in der Selbstmedikation und in der Kombination mit Psychopharmaka: Hohe Risiken sind nicht auszuschließen

Frage an ATIS
Ein Kollege, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, fragt: „Ich behandle seit längerem einen 29-jährigen Patienten mit einer bipolar affektiven Erkrankung (seit sechs Monaten stabil) und Verdacht auf ADHS. Aktuell ist er mit 1000 mg Valproinsäure retard, Fluoxetin 40 mg, Bupropion 150 mg und zur Nacht 25 mg Quetiapin eingestellt. Nun plant der Patient die Teilnahme an einem in den letzten Jahren wohl populären etwa 3-tägigen Ritual mit Einnahme von Ayahuasca irgendwo in Belgien. Ich habe ihm geraten, zuvor alle seine Medikamente abzusetzen und erst eine Woche nach der Zeremonie wieder anzusetzen. Ich frage mich aber, ob die Medikamentenpause wirklich nötig ist, da die Medikamentenpause bei dem gerade wieder psychisch stabil gewordenen jungen Mann auch Risiken hat.“

Antwort von ATIS
Ayahuasca ist ein psychoaktiver Pflanzenextrakt aus Südamerika, der dort traditionell in rituellen und medizinischen Zeremonien verwendet wird. Es enthält Dimethyltryptamin (DMT), eine psychedelisch wirkende Substanz. DMT wird normalerweise schnell metabolisch inaktiviert, aber durch Kombination mit einer anderen Substanz in dem Pflanzenextrakt, einem Monoaminooxidase-Hemmern meist aus Banisteriopsis caapi nicht schnell abgebaut wird und als Halluzinogen wirkt. Die psychedelische Wirkung mit visuellen Halluzinationen und emotionalen Reaktionen kann mehrere Stunden anhalten [1]. In Deutschland wäre die Anwendung von DMT ein strafbares Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Ärztinnen und Ärzten in Deutschland kann man jegliche Beteiligung an derartigen individuellen Therapieversuchen also nur dringend abraten, sofern keine Genehmigung durch die Bundesopiumstelle eingeholt wurde. In Belgien ist die Anwendung aber wohl unproblematisch (wobei wir keine Experten in dem dort geltenden Recht sind).

 

Auch medizinisch kann die Anwendung aber riskant sein. Die Vorsicht des behandelnden Psychiaters ist also absolut berechtigt. Ayahuasca enthält einen oder mehrere Monoamin-Oxidasehemmer, die in Kombination mit Fluoxetin und Bupropion zu einem lebensbedrohlichen Serontonin-Syndrom (Symptome wie Verwirrtheit, Krampfanfälle, Hyperthermie) führen können. Problematisch ist dabei vor allem, dass bei diesen Extrakten der Gehalt an unterschiedlichen Wirkstoffen kaum standardisiert ist, so dass schon unabhängig von den hier existierenden Interaktions-Problemen mit Fluoxetin und Bupropion die Anwendung von Ayahuasca riskant sein kann. Andererseits ist es wohl auch so, dass in vielen Fällen der Gehalt so gering ist, dass gar keine ernste Gefahr droht und das Ganze als völlig ungefährlich eingeschätzt wird. Aber genau diese Unwägbarkeiten und das trügerische Sicherheitsgefühl machen die Anwendung riskant.

 

Bezüglich der Wartezeiten sind im vorliegendem Fall die Besonderheiten von Fluoxetin bedeutsam. Fluoxetin hat allein schon eine Halbwertzeit von etwa vier Tagen und sein wirksamer Metabolit Norfluoxetin eine Halbwertzeit von bis zu 15 Tagen, so dass hier zur Vermeidung gefährlicher Wechselwirkungen das Fluoxetin sicherheitshalber am besten schon vier Wochen vor dem Ayahusca Ritual abgesetzt werden sollte. Bupropion verweilt nicht so extrem lange im Körper des Menschen, sollte aber auch etwa drei Tage vorher abgesetzt werden, zumal es bekanntlich ein eigenes Risiko für Krampfanfälle hat. Valproinsäure und Quatiapin sollten etwa einen Tag vorher abgesetzt werden. Mit dem Wiederansetzen danach kann schon einen Tag nach Einnahme des Ayahuasca begonnen werden, beim Fluoxetin dann einschleichend.

 

Auch ein Grund warum wir diese auf den ersten Blick sehr speziell anmutende Frage aufgenommen haben ist, dass zunehmende Interesse an psychedelisch bzw. halluzinogen wirkenden Substanzen in der psychiatrischen Arzneitherapie. Es ist absehbar, dass sich künftig auch Ärztinnen und Ärzte außerhalb des engeren psychiatrischen Fachgebiets mit diesem Thema auseinandersetzen müssen - sei es im Rahmen von Patientenanfragen, komplementärmedizinischen Selbsterfahrungen oder klinischen Studien [2].

 

Der therapeutische Einsatz psychedelischer Substanzen zur Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen ist kein neues Konzept: Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde insbesondere mit LSD (Lysergsäurediethylamid) geforscht, das etwa 1940 der Schweizer Chemiker Albert Hofmann synthetisiert und auch erstmals selbst eingenommen hat. In den folgenden Jahrzehnten synthetisierte der russische bzw. US-amerikanische Pharmakologe Alexander Shulgin mehr als 50 weitere ähnliche psychoaktive Substanzen (unter anderem MDMA), testete sie gemeinsam mit seiner Ehefrau an sich selbst und initiierte deren experimentellen Einsatz in der Psychiatrie [3]. Aufgrund von Missbrauchsfällen und politischem Druck im Kampf gegen den Drogenmissbrauch wurde die wissenschaftliche Forschung zu diesen Psychedelika über viele Jahre weitgehend eingestellt. Erst in den letzten rund zehn bis 15 Jahren erlebt die psychedelische Forschung eine Renaissance - mit wachsendem Interesse an evidenzbasierter Anwendung in der Therapie therapieresistenter psychischer Erkrankungen. Derzeit ist in Deutschland am bekanntesten und auch zugelassen die Anwendung des Anästhetikums Esketamin (das S(+)-Enantiomer von Ketamin) zur Behandlung der Depression, wenn mindestens zwei andere Antidepressiva keine ausreichende Wirkung gezeigt haben. Intensiv untersucht wird derzeit auch Psilocybin, der Wirkstoff aus sogenannten „Magic Mushrooms“. Klinische Studien prüfen den Einsatz bei schweren Depressionen, Zwangsstörungen, Suchterkrankungen und posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS). In Ländern wie den USA, Kanada und Australien bestehen bereits Sonderzulassungen oder medizinische Zugänge im Rahmen von Studien und Modellprojekten.

 

Auch andere Substanzen wie MDMA (bekannt als „Ecstasy“), LSD, Ibogain (ein Alkaloid aus westafrikanischen Pflanzen) und Mescalin (aus mexikanischen Peyote-Kakteen) werden aktuell in klinischen Studien hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirksamkeit und Sicherheit untersucht - insbesondere in der Behandlung von PTBS, Suchterkrankungen und Krisen im Rahmen von lebensbedrohlichen Erkrankungen.

 

Zum Schluss zurück zur konventionellen psychiatrischen Arzneitherapie: Die vom Kollegen gewählte, sehr moderate Quetiapin-Dosis von 25 mg zur Nacht ist selbstverständlich unproblematisch. Dennoch wäre es überlegenswert, Valproinsäure durch Lithium zu ersetzen - zumal Valproinsäure inzwischen im Verdacht steht, nicht nur bei Einnahme durch die Mutter, sondern auch durch den Vater Missbildungen zu verursachen.

 

Langfristig sollte auch die Kombination aus Fluoxetin und Bupropion zugunsten einer Monotherapie überdacht werden. Beide Substanzen hemmen gegenseitig ihre Ausscheidung, was das Risiko einer Überdosierung erhöht; zudem ist ihre kombinierte Wirksamkeit nur unzureichend untersucht. Umso mehr spricht dagegen, zusätzlich noch die zehn bis 20 psychoaktiven Substanzen aus Ayahuasca ins Spiel zu bringen.

 

Literatur
[1]  J. Hamill et al. Ayahuasca: Psychological and Physiologic Effects, Pharmacology and Potential Uses in Addiction and Mental Illness.  Current Neuropharmacology, 2019, 17: 108-128

[2]  J. Jungwirth et al. Psychedelika und Dissoziativa in der Psychiatrie: Herausforderungen in der Behandlung. Der Nervenarzt, 2024, 95: 803–810

[3] A.T. Shulgin; A. Shulgin. TiHKAL: The Continuation (1st ed.). Berkeley, CA: Transform Press. 1997.

 

Autor
Prof. Dr. med. Jürgen Brockmöller
Institut für Klinische Pharmakologie
Universitätsmedizin Göttingen