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Metoprolol und andere Betablocker bei Hypertonie: Oft nicht mehr erste Wahl
Frage an ATIS
Ein Kollege, Facharzt für Allgemeinmedizin, fragt: „Ich behandle seit langem eine 84-jährige Patientin wegen Hypertonie mit Metoprolol und einer niedrigen Dosis Hydrochlorothiazid. Beim letzten Praxisbesuch erwähnte sie, dass ihr in der Apotheke gesagt wurde, dieses Medikament werde zur Blutdrucksenkung nicht mehr so gern verordnet, da es besondere Risiken habe. Ich erinnere mich, vor einigen Jahren von einem möglicherweise erhöhten Schlaganfallrisiko unter Betablockern gehört zu haben, frage mich aber, ob dieses Risiko klinisch relevant ist. Schließlich werden Betablocker weiterhin häufig zur Behandlung der Hypertonie eingesetzt.“
Antwort von ATIS
Die Verordnung von Betablockern ausschließlich zur Behandlung der Hypertonie - insbesondere bei älteren Menschen - sollte heute in jedem Einzelfall kritisch geprüft werden. Ihr Nutzen ist hingegen unbestritten in der Therapie der Herzinsuffizienz, der koronaren Herzerkrankung und tachykarder Rhythmusstörungen. Zudem kann es individuell weitere gute Gründe für ihre Anwendung geben.
Eine erste kontrollierte Studie, die eine Unterlegenheit des Betablockers Atenolol verglichen mit dem AT1-Blocker Losartan gezeigt hat, war die LIFE-Studie [1]. In der Studie hatten die mit Atenolol Behandelten um 25 Prozent mehr Schlaganfälle als die mit Losartan Behandelten. Für sich allein betrachtet, muss das nicht bedeuten, dass der Betablocker die Schlaganfallrate erhöht hat. Aber auch eine umfangreiche Metaanalyse aus dem Jahr 2005 mit Daten von 105.951 Menschen zeigte um 16 Prozent mehr Schlaganfälle in der Gruppe, die mit Betablockern behandelt wurde [2]. Allerdings war auch in dieser Metaanalyse die Mehrzahl mit Atenolol behandelt worden, einem Betablocker, der in Deutschland nie viel verordnet wurde. Insofern sind die Zahlen zum Schlaganfallrisiko bei unserer Anfrage zum Metoprolol vielleicht doch nicht ganz so kritisch zu sehen. Nur wissen wir es nicht definitiv, weshalb mit Hinweis darauf, dass es ja meist gute Alternativen gibt, der überwiegend aus Studien zu Atenolol ermittelte Effekt gern auf alle Betablocker verallgemeinert [3].
Auch perioperativ sollten Betablocker heute nur noch bei Herzoperationen eingesetzt werden. Bei anderen chirurgischen Eingriffen zeigte sich unter Betablockern tendenziell ebenfalls ein erhöhtes Schlaganfallrisiko [4].
Warum erhöhen Betablocker das Schlaganfallrisiko im Vergleich zu AT1-Blockern oder Calciumantagonisten? Ein möglicher Grund ist, dass Betablocker den Blutdruck im Gehirn weniger stark senken als in der Peripherie. Zudem können sie mit einer stärkeren Blutdruckvariabilität über den Tag und in der Nacht verbunden sein. Auch eine möglicherweise nicht ganz seltene unregelmäßige Einnahme könnte durch Blutdruckschwankungen einen ungünstigen Einfluss haben. Darüber hinaus besitzen AT1-Blocker und ACE-Hemmer zusätzliche positive Effekte auf die Endothelfunktion, die möglicherweise zum besseren Schlaganfall-Schutz beitragen. Es gibt also mehrere plausible Erklärungen - welche davon letztlich entscheidend ist, bleibt jedoch unklar.
Und wie ist das Wissen dazu in Deutschland angekommen? Ein Blick auf die Verordnungszahlen im Arzneimittel-Verordnungsreport zeigt, dass sich die Verschreibung von Betablockern in den letzten zehn Jahren kaum verändert hat [5]. Seit Langem nehmen schätzungsweise fünf Millionen Menschen in Deutschland täglich einen Betablocker ein - meist aufgrund von kardialen Indikationen wie Herzinsuffizienz, KHK oder tachykarden Rhythmusstörungen. Aber möglicherweise nehmen immer noch zwischen einer halben und einer Million Menschen die Betablocker allein wegen der Hypertonie; genau lässt sich das aus den Verordnungszahlen nicht ermitteln. Die zunehmende Verordnung von Calciumkanalblockern (Amlodipin, Lercanidipin) und von Angiotensinrezeptorblockern (Candesartan, Valsartan und andere) könnte dafürsprechen, dass immer weniger nur wegen Hypertonie mit Betablockern behandelt werden. Und das könnte auch damit zusammenhängen, dass Viele unter anderen Nebenwirkungen der Betablocker leiden. Interessanterweise wird heute auch der AT1-Blocker Losartan, dessen Vergleich in der LIFE-Studie [1] zuerst den Verdacht auf die Schlaganfallproblematik der Betablocker aufgebracht hat, heute nur noch relativ wenig verordnet. Es spricht aber weiterhin nichts gegen Losartan, wenn dieses ausreichend und eher zweimal täglich dosiert wird. Gar nicht allgemein bekannt ist der Vorteil des Losartan, über eine Hemmung des Transportproteins URAT1 auch die Harnsäurespiegel zu senken.
Fazit: Betablocker sind heute nicht mehr die erste Wahl zur alleinigen Behandlung der Hypertonie. Klar „evidence based“ gilt das aber nur für das Atenolol. Und Betablocker bleiben allemal Medikamente erster Wahl, wenn nur oder zugleich mit der Hypertonie kardiale Indikationen für einen Betablocker vorliegen. Und auch die Umstellung der antihypertensiven Therapie einer Patientin, der es unter einem Betablocker sehr gut geht, wird man sicher dreimal überlegen, und so würde man wahrscheinlich auch an der langjährigen Metoprolol-Therapie der 84-jährigen Patientin dieser Anfrage nichts ändern, wenn nicht andere Probleme für eine Umstellung sprechen. Und wenn dann doch umgestellt werden soll, wäre natürlich wichtig, dass die Dosierung der Betablocker langsam ausgeschlichen wird. Nicht alle Antihypertensiva, aber die AT1-Blocker oder die Calciumantagonisten vom Dihydropyridintyp könnten dann ja auch überlappend mit Betablockern verordnet werden bzw. ein- und austitriert werden.
Literatur
[1] Dahlöf et al. Cardiovascular morbidity and mortality in the Losartan Intervention For Endpoint reduction in hypertension study (LIFE): a randomised trial against atenolol. Lancet.2002; 359: 1004-1010.
[2] Lindholm et al. Should beta blockers remain first choice in the treatment of primary hypertension? A meta-analysis. Lancet 2005; 366: 1545-53.
[3] Nationale Versorungsleitlinie Hypertonie, Verson 1.0. 2023 (AWMF-Register Nr. nvl-009)
[4] Blessberger et al., Perioperative beta‐blockers for preventing surgery‐related mortality and morbidity. Cochrane systematic review, 13.03.2018
[5] Ludwig et al., Herausgeber. Arzneiverordnungs-Report 2023. Springer Verlag Berlin, Heidelberg
Autor
Prof. Dr. med. Jürgen Brockmöller
Institut für Klinische Pharmakologie
Universitätsmedizin Göttingen