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Antibiotikaprophylaxe bei hohem Endokarditisrisiko unter Behandlung mit Tirzepatid (Mounjaro®): Was ist zu beachten?

Frage an ATIS

Eine Kollegin, Fachärztin für Allgemeinmedizin, stellt folgende Anfrage: „Es geht um eine 64-jährige Patientin mit biologischem Aortenklappenersatz und Adipositas (BMI 31), die derzeit mit Clopidogrel 75mg, Torasemid 10mg, Metoprolol 95mg täglich, sowie mit Tirzepatid 1,7mg einmal wöchentlich behandelt wird. Die Patientin erkundigt sich nun, ob sie das zur Endokarditisprophylaxe vorgesehene Antibiotikum (Amoxicillin 1000mg) vor einem zahnärztlichen Eingriff schon früher als bisher einnehmen soll. Bisher hatte sie es eine Stunde vor der Behandlung eingenommen.“

 

Antwort von ATIS

Beim ersten Lesen der Anfrage mussten wir schmunzeln - nicht aus Geringschätzung, sondern weil eine exakte zeitliche Punktlandung in der Praxis ohnehin wahrscheinlich selten realisierbar ist. Zudem unterliegt die Resorptionsgeschwindigkeit von Arzneimitteln interindividuellen und tagesabhängigen Schwankungen. Dennoch ist das zugrunde liegende Anliegen absolut berechtigt: Eine Endokarditis muss unter allen Umständen verhindert werden und dafür müssen wir die beste Behandlungsweise kennen. Mit der zunehmenden Anwendung von Wirkstoffen wie Tirzepatid (Mounjaro®) ist davon auszugehen, dass uns vergleichbare Fragestellungen künftig häufiger begegnen werden - zumal viele dieser Aspekte bislang noch nicht abschließend geklärt sind.

 

Tirzepatid (Handelsname: Mounjaro®) ist ein neuartiges, einmal wöchentlich subkutan zu verabreichendes Antidiabetikum, das als sogenannter dualer Agonist sowohl den glucagon-like peptide 1 (GLP-1)-Rezeptor als auch den Rezeptor des glucose-dependent insulinotropic polypeptide (GIP) stimuliert. Reine GLP-1-Rezeptoragonisten wie Semaglutid oder Liraglutid sind bereits länger bekannt. Sie fördern die glukoseabhängige Insulinsekretion, hemmen die Glukagonfreisetzung und verzögern die Magenentleerung. Tirzepatid bindet zusätzlich an den GIP-Rezeptor, was die Insulinsekretion weiter verstärken und möglicherweise über zusätzliche Mechanismen zu einer verbesserten metabolischen Regulation führen kann. In der diabetologischen Praxis finden sich zahlreiche Beispiele schwer einstellbarer Typ-2-Diabetikerinnen und Diabetiker, die bislang zur Blutzucker und HbA1c-Kontrolle wegen ihrer Insulinresistenz sogar schon hohe Insulindosen benötigt haben und dann unter Tirzepatid nach wenigen Monaten sogar insulinfrei therapiert werden können. Auch die Gewichtsabnahme fällt im Schnitt stärker aus als bei reinen GLP-1-Agonisten - im Mittel etwa 15kg - und trägt so zusätzlich zur Stoffwechselverbesserung beim Typ-II-Diabetiker bei.

 

Wir haben es hier mit einem noch relativ neuen Medikament zu tun, das nach aktueller - noch lückenhafter - Datenlage für viele Menschen mit Typ-2-Diabetes und für viele adipöse Patientinnen und Patienten potenziell von großem Nutzen sein kann. Tirzepatid ist zur Behandlung des Typ-2-Diabetes relativ breit zugelassen, wenn eine alleinige Therapie mit Metformin nicht ausreicht. Darüber hinaus besteht eine Zulassung zur Behandlung der Adipositas ab einem BMI ≥ 30kg/m², bzw. bereits ab einem BMI ≥ 27kg/m² bei Vorliegen Adipositas-assoziierter Begleiterkrankungen. Ein wesentlicher Wermutstropfen ist derzeit die begrenzte Erstattungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen. Diese Einschränkung ist jedoch prinzipiell nachvollziehbar und begründet: Die Datenlage zu den langfristigen klinischen Effekten - etwa auf kardiovaskuläre Ereignisse - sowie zu möglichen unerwünschten Wirkungen unter Dauertherapie ist bislang noch unzureichend. Die in der aktuellen Fallanfrage gewählte vergleichsweise niedrige Dosis von 1,7mg/Woche könnte Ausdruck einer gewissen Zurückhaltung im Umgang mit dem neuen Präparat sein. Zugelassen für die längerfristige Therapie ist ein Dosisspektrum zwischen 5 bis 15mg/Woche, angepasst an individuelle Verträglichkeit und Therapieerfolg.

 

Nun aber zur eigentlichen Frage: Tatsächlich verlangsamt Tirzepatid die Magenentleerung - ein Mechanismus, der zur glukose- und gewichtsreduzierenden Wirkung des Medikaments beiträgt. In einer Interaktionsstudie mit Paracetamol untersuchte der Hersteller mögliche Auswirkungen auf die Pharmakokinetik: Bei niedrigen Tirzepatid-Dosen waren die Effekte gering. Ab einer Dosis von 5mg pro Woche zeigte sich jedoch eine Verlängerung der Zeit bis zum Erreichen der maximalen Plasmakonzentration (Tmax) um etwa eine Stunde sowie eine Reduktion der maximalen Plasmaspiegel (Cmax) um rund 50 Prozent.

 

Interessanterweise scheint es bereits nach wenigen Wochen zu einer physiologischen Adaptation hinsichtlich der Magenentleerung und Darmmotilität zu kommen. Die beschriebenen Wechselwirkungen sind daher vorrangig in den ersten Wochen nach Therapiebeginn oder nach Dosissteigerungen klinisch relevant.

 

Für viele Medikamente - darunter auch Amoxicillin oder hormonelle Kontrazeptiva - ist jedoch nicht die Tmax oder Cmax entscheidend, sondern die insgesamt absorbierte Wirkstoffmenge, gemessen als Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC). Diese wird durch Tirzepatid deutlich weniger beeinflusst: Im Fall der getesteten Hormone in einem oralen Kontrazeptivum lag die Veränderung der AUC lediglich bei 20 bis 25 Prozent. Der Hersteller bewertet diesen Effekt als klinisch nicht relevant [1].

 

Trotzdem sollte bei Frauen in den ersten Wochen der Tirzepatid-Therapie eine alleinige Verhütung mit oralen hormonellen Kontrazeptiva nicht empfohlen werden. Ebenso gilt: Bei Patienten unter Polymedikation ist in dieser Phase eine engmaschigere Überwachung angeraten.

 

Und nun konkret zum Amoxicillin

Falls die Patientin auf eine höhere Dosis Tirzepatid (z. B. 5mg/Woche) eingestellt wird, sollte Amoxicillin in den ersten Wochen der Therapie idealerweise bereits etwa 1,5 Stunden vor Beginn des zahnärztlichen Eingriffs eingenommen werden.

 

Noch wichtiger ist möglicherweise: Sollte es zu einer Verzögerung oder ungewöhnlich langen Dauer der Behandlung kommen, ist etwa vier Stunden nach der ersten Amoxicillin-Dosis eine zweite Gabe in Erwägung zu ziehen - aus Gründen der Sicherheit.

 

Auch hier gilt das Prinzip der Vernunft: Die zweite Dosis sollte erst verabreicht werden, wenn die Schluckfunktion wieder ausreichend gewährleistet ist, um eine Aspiration zu vermeiden. Im Extremfall kann das bis zu sechs Stunden nach der ersten Einnahme bedeuten, insbesondere solange eine Lokalanästhesie noch wirkt.

 

Eine Antibiotikaprophylaxe ist grundsätzlich indiziert bei Personen mit durchgemachter Endokarditis sowie bei Trägern von Herzklappenprothesen jeglichen Materials [2]. Gemäß der hier zitierten aktuellen Leitlinie sollte etwa 30 bis 60 Minuten vor dem Eingriff sogar eine Einzeldosis von 2000mg Amoxicillin eingenommen werden. Bei einer Penicillinallergie oder einem entsprechenden Verdacht kann alternativ Azithromycin (500mg) oder Doxycyclin (100mg) verabreicht werden, wobei letzteres häufiger gastrointestinale Nebenwirkungen verursacht. Beide Antibiotika weisen eine lange Halbwertszeit auf, sodass bei längerer oder verzögerter operativer Behandlung in der Regel keine Nachdosierung erforderlich ist.

 

Autor:

Jürgen Brockmöller

Institut für Klinische Pharmakologie

Universitätsmedizin Göttingen

 

Literatur

[1] Arzneimittel-Fachinformation Mounjaro®, Lilly Deutschland GmbH, Stand der Information Februar 2025

[2] V. Delgado et. al, 2023 ESC Guidelines for the management of endocarditis: Developed by the task force on the management of endocarditis of the European Society of Cardiology (ESC) Endorsed by the European Association for Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) and the European Association of Nuclear Medicine (EANM). European Heart Journal, 44, 39, 3948–4042.